Media
Share
Geheilte Erinnerungen
Eginald Schlattner feiert am 13. September d. J. seinen 85. Geburtstag
Auf einer Fahrt von Siebenbürgen nach Bukarest: Beim Anblick vieler neugegründeter Klöster fragt eine junge Frau: „Was muss ich tun, wenn ich in eine solche Gemeinschaft eintrete?“ Die so fragt, ist in Rumänien geboren, in Hamburg aufgewachsen und lebt seit 15 Jahren wieder in ihrer ursprünglichen Heimat. Ich kann ihr antworten: „Acht Stunden wird im Stehen vor der Altarwand gebetet und gesungen. Zehn Stunden wird unter der lautstarken Aufsicht der Oberin gearbeitet. Dienlich der Seelen Seligkeit. Schließlich: sechs Stunden todmüder Schlaf.“ Ich wüsste noch mehr. Dieses Erfahrungswissen stammt allerdings nicht von mir, sondern von Eginald Schlattner, der mit seinen Romanen „Der geköpfte Hahn“ (1998), „Rote Handschuhe“ (2000), „Das Klavier im Nebel“ (2005) die europäische Literaturszene fulminant Richtung Südosten erweitert hat und mit der narrativen Dokumentation „Wasserzeichen“ (2018) ein Panorama des siebenbürgisch-sächsischen Bürgertums zwischen Glanz, Elend und Neubesinnung schuf. Mit seinem jüngsten Werk, aus dem ich mich für die Antwort an die junge Frau freihändig bediente (S. 72), hat er den reich ornamentierten Schlussstein gesetzt für sein Sprach-Gedächtnis der siebenbürgischen Wunden und Wunder, und zwar voll eines poetischen Realismus, ohne Verbitterung, angelegt auch auf künftige Generationen, damit diese ihre Gegenwart angemessen verstehen können. Weiterlesen…
Beatrice UNGAR